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Vom 19.-23. November 2025 fand in New Orleans die Jahrestagung der American Anthropological Association (AAA) statt. Unter dem Titel "GHOSTS" kamen Anthropolog:innen aus der gesamten Welt zusammen, um ihre Forschungen über das Unheimliche zu präsentieren. Besessene Küchengeräte, das Unsichtbare im eigenen Körper und die unheimliche globale politische Lage sind nur drei Beispiele der Themen, die in New Orleans diskutiert wurden. Das Unbehagen und Gespenstische war in allen Vorträgen und Diskussionen spürbar. Unheimlich (voll) war jedoch vor allem das Programm der AAA. Das PDF-Dokument mit allen Panels und Abstracts umfasste über 2.200 Seiten; also nichts für sporadische Tagungsbesucher:innen, die sich einen Überblick über die aktuelle Forschungslandschaft zu Geistern in der Anthropologie verschaffen wollten. Der Veranstaltungsort waren zwei Tagungshotels (das Sheraton und das Marriott) im Zentrum von New Orleans. Beide zeichneten sich vor allem durch fensterlose Seminarräume in grau aus—unheimlich unfreundlich.
Das Thema der Konferenz passte zum Tagungsort: Die Stadt New Orleans ist bekannt und berühmt für ihre Nähe zum Okkulten, zum Geisterreich und zum Gespenstischen. An jeder Ecke finden sich Souvenirshops, die mit dem unheimlichen Image der Stadt werben. Über fünf Tage hinweg war die Innenstadt voll mit Anthropolog:innen, die in den Cafés und Bars über das Unheimliche diskutierten und ihre Forschungen in den unzähligen Panels präsentierten.
Spectral Remix
Am Rande der AAA-Tagung in der Galerie Merchant Hall fand die Kunstaktion „Spectral Remix“Externer Link statt. Als Rahmen- oder Begleitprogramm griff die Aktion das Thema der Konferenz auf, öffnete aber den Raum auch für Besucher:innen außerhalb der Anthropolog:innenszene. Mehr als zwanzig Künstler:innen und Forschende zeigten ihre Arbeiten in der Galerie. Alle arbeiteten mit dem Thema des Unheimlichen, Geisterhaften, Spektralen. Von Sound- und Videoinstallationen zu politischen und ökologischen Krisen über Fotoarbeiten zum krisenhaften Alltag bis zu KI-halluzinierten Geisterschiffexpeditionen in die Ethnografie bot die Ausstellung multimediale und multimodale Auseinandersetzungen sowohl mit dem Thema der Tagung als auch mit experimentellen ethnografischen Forschungsmethoden.
Videorundgang von Scott Lukas durch die Ausstellung
Grafik: FreepikPostal Incantations and other spells to ward off catastrophe
Craig Campbell, Professor für Anthropologie an der University of Texas at Austin, und ich erarbeiteten für Spectral Remix eine interaktive Installation, die Besucher:innen der Tagung und der Ausstellung einlud, Postkarten an Bekannte, Freund:innen, Feind:innen und Kolleg:innen zu verschicken. Die Postkartenmotive thematisierten unterschiedliche Gefahren der drohenden Klimakatastrophe, wie etwa die Entstehung neuer Krankheiten, ansteigende Temperaturen und damit verbunden die vermehrten Waldbrände oder aber auch politische Radikalisierungen durch die steigende globale Ungleichheit. Gepaart wurden diese Gefahren mit Holzschnitten aus dem Dictionnaire Infernal, einem Grimoire, der 1818 von dem Okkultisten Collin de Plancy herausgegeben wurde.
Mithilfe eines "Zauberbuchs" konnten Teilnehmende Zaubersprüche formulieren und ihre Adressat:innen dazu auffordern, sich den immanenten Gefahren entgegenzustellen, sie abzuwenden oder sich in Gruppen zu organisieren, um auf die drohenden globalen Katastrophen aufmerksam zu machen. Postal Incantations beschwörte also in zwei Weisen die Geister der Zukunft herauf: Zum einen als Mahnung gegen den rasant fortschreitenden Klimawandel und den Versäumnissen unserer Gegenwart und zum anderen einen Spirit der Solidarität innerhalb und außerhalb der Wissenschaften aktiv und aktivistisch aufzutreten.
Begleitet wurde die Installation in der Galerie mit einer "Poststation" in einem der Konferenzhotels. Jeden Morgen wurden die in der Galerie geschriebenen Postkarten zum Sheraton Hotel getragen und dort in ein Regal einsortiert, sodass die Tagungsbesucher:innen sich dort jeden Tag ihre Post abholen konnten.
Wir wählten Postkarten als unser zentrales Kommunikationsmedium, da wir zum einen beide wissenschaftlich mit diesen Medium arbeiten und zum anderen die postalische Kommunikation eine Langsamkeit und damit eine besondere Behutsamkeit in der Korrespondenz vorgibt. Mit den Postkarten wollten wir einen dezidierten Kontrapunkt zu den sich (zu) rasant ändernden Nachrichtenströmen in den neuen Medien setzen, um den Blick auf einzelne Phänomene der Gegenwart und Zukunft zu richten.
Greetings from Snailbrook, Texas
Was passiert an einem Ort, der immer nur im Entstehen ist? Was passiert in einer "Stadt", die mit unerfüllten Versprechen angefüllt ist? Diesen Fragen widmete sich Greetings from Snailbrook, Texas bei Spectral Remix. Das Projekt von Claire FitchExterner Link, Doktorandin am Department for Geography and the Environment der UT Austin und mir, beschäftigt sich mit von uns so bezeichneten "Zukunftsruinen"—Orte, die nur im Versprechen existieren, nie anzukommen scheinen oder künftig als Ruinen übrig bleiben. Fokus unserer ersten ethnografischen Exploration ist die von Elon Musk gegründete company town Snailbrook am Stadtrand von Bastrop, Texas. Elon Musk hat 2020 damit begonnen, das Gros seiner Unternehmen aus steuerlichen Gründen von Kalifornien nach Texas zu übersiedeln. Am Stadtrand von Bastrop konnte er genug Land kaufen, um dort die Boring Company, ein Unternehmen für Tunnelbohrungen und verantwortlich für die Hyperloops, die Starlink-Satelliten-Fertigung von SpaceX, die neue Zentrale von X sowie eine private Waldorfschule und eine künftige Firmenstadt unterzubringen.
Greetings from Snailbrook_Hologrammpostkarte 4
Foto: Florian GrundmüllerIst man einmal in Snailbrook, merkt man ganz schnell, dass hier etwas im dauerhaften Übergangsmoment existiert und nicht zur Fertigstellung gebracht wird. Zwar gibt es Pickleball-Felder, einen zentral gelegenen Pool, einen Spielplatz und eine Minigolfanlage, jedoch müssen all diese Aktivitäten in der sengenden Hitze unter texanischer Sonne stattfinden, da es in der gesamten Anlage keinen einzigen Schattenplatz gibt. Die Boring Bodega, ein Kiosk mit Bar und weiteren Aktivitäten, von Billard bis zu Videospielen, ist der einzige Ort, der eine kurze Erfrischung verspricht. Hier sitzen wie in einer Betriebskantine die Büroangestellten aus Musks Konzernen, trinken nach Feierabend Bier oder spielen Tischtennis. Dies alles wirkt wie eine Simulation nachbarschaftlicher Gemeinschaft in einer Landschaft, die weitestgehend ein industrieller Nicht-Ort zu werden scheint.
Greetings from Snailbrook, Texas hat sich diesem Dazwischen angenähert und nach den (Un-)Wirklichkeiten des Ortes gefragt. In mehreren kurzen Aufenthalten in Snailbrook und in der Boring Bodega haben wir Beobachtungsprotkolle, Gesprächsskizzen, Fotografien, Videomaterial sowie Flyer und weitere Informationsmaterialien gesammelt. Aus Flyern, Gräsern und Bauschutt aus Snailbrook haben wir Papier geschöpft, in Postkartengröße gebracht und mit digitalen Collagen aus den Fotografien bedruckt. Die Postkarten zeichnen eine Zukunftvision des Ortes, ein touristischer Sehnsuchtsort, eine Lebens- und Alltagswelt im Schatten des musk'schen Hyperkapitalismus.
Mit Überlagerungen von Fotografien und Text schufen wir räumlich wirkende Postkarten, die ein genaueres Hinsehen nötig machen, um die Ebenen zu erkennen. Snailbrook, Texas, findet am Rand des Hypes statt, fernab von der Musik- und Tech-Start-Up-Szene in Austin. Weitestgehend unsichtbar. Lokale Aktivist:innen in Bastrop versuchen ein kritisches Bewusstsein für die Landnahme und die Entwicklungen rund um die Boring Bodega zu schaffen, jedoch fehlt die nötige Aufmerksamkeit.
Bisher erscheint Snailbrook und die Boring Bodega wie ein unerfülltes Versprechen des reichsten Mannes der Welt, ein materialisiertes Internet-Meme, ein teurer Witz des selbsternannten Comedians Musk. Greetings from Snailbrook, Texas und der future ruins-Ansatz nehmen diese Entwicklungen jedoch ernst—vor allem und gerade in Bezug auf die Geschichte Texas', dem settler colonialism und Extraktivismus durch die Ölindustrie und die Technologiebranche.