Joseph Grassi: Panedonia aus dem 'Panedone'-Zyklus (1804))

Das Ende der Erzählung?

Forschungsprojekt Selina Kusche
Joseph Grassi: Panedonia aus dem 'Panedone'-Zyklus (1804))
Foto: Stiftung Schloss Friedenstein Gotha

In der Kunstgeschichte werden Gemälde mit aus Literatur entnommenen Sujets vorrangig als Verbildlichung der Erzählungen betrachtet. Überzeugen bestimmte Werke ihre Betrachtenden nicht davon, dass sie eine Geschichte ‚erzählen‘, scheinen sie nicht in der Lage zu sein mit dieser mitzuhalten. Eine solche Ansicht unterschlägt das vorherrschende Wissen über die medienspezifischen Unterschiede von Textprodukten und Malerei, die spätestens 1766 mit Gotthold Ephraim Lessings Laookon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie verschriftlicht und publiziert wurden. Zwar nennt Lessing noch vorrangig Themen der ‚klassischen Ikonografie‘, die Kunstproduktion hingegen wendete sich ab der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts zunehmend ‚neuen‘ Inhalten zu. Zeitgenössische Romane oder bis dahin eher vernachlässigte Arbeiten von beispielsweise Dante oder Shakespeare sind allerdings Sujets, deren visuelle Konventionen erst entwickelt werden musste und die heute auch als Bildthemen der Romantik gelten.

Trotz der Neuartigkeit der Motive und damit einhergehender Erklärungsbedürftigkeit fällt auf, dass die Inszenierung teils fernab eines Lessingschen „fruchtbaren Moment“ (dem einzigen Moment, der einem Maler zur Verfügung steht und in dem er ein Vorher und ein Danach suggerieren muss - Lessing, 1766, S. 26) einzuordnen ist. Dennoch schien die Wahl zu einer Darstellungsform ohne Hinweis auf einen möglichen narrativen Hintergrund, einzelne fiktionalisierte oder gar rein fiktionale Figuren völlig ihres Ursprungs zu entheben, recht verbreitet: Angelika Kauffmanns Poor Mary (1768-78), Joshua Reynolds Puck Robin Goodfellow (1789), Richard Westalls Lady MacBeth (1800), Joseph Grassis Panedone-Zyklus (1804-09), Johann Heinrich Füsslis Crazy Kate (1806-07) bis zu Wilhelm von Schadows Mignon (1828). Solche Werke, die für die Darstellung von Sujets aus der Gattung Historie auf Darstellungskonventionen der Porträtmalerei zurückgreifen, bilden eine neue bisher von der Forschung wenig beachtete Form aus, die bewusst mit Gattungs- und Medienkonventionen bricht. Anhand der erwähnten und weiteren ausgewählten Beispielen (zwischen 1760 und 1830) untersuche ich mit einem interdisziplinären und medientheoretischen Ansatz – unter Zuhilfenahme von Konstellations- und Netzwerktheorie – deren Entstehungs- und Rezeptionskontext sowie deren Einordnung in die hier kritisch hinterfragte Gattungshierarchie der zweiten Hälfe des 18. Jahrhunderts.

Ein besonderer Fokus liegt dabei auf den folgenden Fragen: Was in einem Bild überzeugt Betrachtende davon, dass es ihnen eine Geschichte ‚erzählt‘? Wie muss ein Bild komponiert sein, damit dieser Eindruck nicht entsteht? Was beabsichtigt eine Historie, wenn sie keine Handlung zeigt? Ist es überhaupt möglich, Narration und erzählende Elemente gänzlich aus Figurendarstellungen auszuschließen? Wie wirkt ein solches Bild auf seine Rezipierenden? Wie verschiebt diese Inszenierung die Wahrnehmung?