Jean Victor Schnetz: Révolution de 1830 – Combat devant l'Hôtel de Ville (1833)

Opposition des Linearen und des Malerischen in der 'bataille romantique'

Forschungsprojekt Justus Hierlmeier
Jean Victor Schnetz: Révolution de 1830 – Combat devant l'Hôtel de Ville (1833)
Foto: Petit Palais

Mein Dissertationsprojekt beschäftigt sich mit der kunsttheoretischen Debatte in Frankreich in etwa zwischen Restauration und Februarrevolution, also 1820er- bis 1840er- Jahre. Im Zuge der bataille romantique, die im Feld der Literatur beginnt und ins Feld der bildenden Kunst ausgreift, kristallisiert sich ein Streit zwischen zwei Lagern heraus: Zum einen Vertreter eines ‚klassizistischen‘ Akademismus und zum anderen Parteigänger einer von den Zeitgenossen so bezeichneten nouvelle école, womit letztendlich romantische Malerei gemeint ist. Ab etwa 1830 spitzt sich der Disput auf zwei Protagonisten zu, nämlich aufseiten der Befürworter einer peinture classique Jean-Auguste-Dominique Ingres, der im Wesentlichen für seine besonderen Qualitäten in der Zeichnung gelobt wird, und auf der anderen Seite Eugène Delacroix als Protagonist der neuen Schule der Malerei, der vor allem für seine Qualitäten im Kolorit gelobt wird.

Eine der Grundüberlegungen meiner Arbeit ist, dass im Zuge dieser Debatte die Art und Weise über Kunst nachzudenken und zu sprechen, eine Wendung erfährt, die eine entscheidende ideengeschichtliche Etappe auf dem Weg zum Dualismus des Linearen und des Malerischen darstellt, den Heinrich Wölfflin in seinem Hauptwerk, den Kunstgeschichtliche Grundbegriffen, aus dem Jahre 1915 entwickelt.

Im Wesentlichen soll durch historische Quellenarbeit an kunstkritischen Artikeln aus Zeitungcen und Zeitschriften, Dokumenten der Akademie, sowie Briefen und Egodokumenten von Künstlerinnen und Künstlern diskursanalytisch nachgewiesen werden, inwieweit sich die Art und Weise über Kunst und vor allem über Stil nachzudenken, verändert, und damit eine notwendige Etappe auf dem Weg zu Wölfflins Theoriebildung darstellt.

Es soll somit eine wichtige Etappe auf dem Weg zu einem Verständnis des Antagonismus von Linearem und Malerischem erforscht werden, die sich nicht in einer reinen Stilwahl erschöpft, sondern auf das jeweilige Verhältnis eines Individuums zu seiner Umwelt im allgemeineren Sinne abzielt.

Es ist davon auszugehen, dass der bis dahin vor allem produktionsästhetische Widerstreit der Zeichnung und der Farbe im Zuge der bataille romantique um eine rezeptionsästhetische Dimension erweitert wird. Darüber hinaus entfaltet sich die Debatte kaum mehr als Suche nach einer überzeitlichen und normativen Antwort auf die Frage nach dem Primat eines linearen bzw. malerischen Stils. Die Auseinandersetzung wird zunehmend um individuelle Dimensionen, teilweise moralischer oder politischer Natur, aufgeladen. Das würde bedeuten, dass nun sowohl künstlerische Stile der Darstellung als auch Wahrnehmungsstile mit den spezifischen Verhältnissen von Individuen zu ihrer Umwelt verbunden sind.

Stil wäre demnach nicht mehr die reine Akzeptanz akademischer Normen bzw. der bewusste Protest dagegen, sondern auch außerhalb des Kunstdiskurses verallgemeinerbar und kann als Ausdruck individueller Eigenschaften verstanden werden.

In diesem Zusammenhang ist näher zu prüfen, ob und in welchen Zusammenhängen die Zeitgenossen bzw. zeitgenössische Stimmen so etwas wie eine unüberwindbare Inkompatibilität bestimmter Darstellungsstile mit spezifischen Wahrnehmungsstilen identifizieren und reflektieren. Das wäre der Fall, wenn es Äußerungen gäbe, die darauf hinweisen, dass lineare Werke einem malerischen Betrachter nicht zugänglich sind, und umgekehrt.

In der kunsttheoretischen Debatte des Ancien Régime drehte sich der Konflikt um Mustergültigkeit, während sich die bataille romantique in einer Zeit ereignete, in der vor allem der Künstler als Individuum zunehmend im Fokus stand. Zusätzlich dazu lassen sich Pathologisierungstendenzen beobachten, nach denen der Stil des jeweils Kritisierten als krankhaft beschrieben wird.

Im Kunstdiskurs wurde zwar weiterhin um die richtigen Vorbilder oder die adäquate Ausbildung gerungen. Es ergab sich allerdings zunehmend die Annahme, dass der Primat von Zeichnung oder Farbe im Werk eines Künstlers nicht unbedingt auf dessen persönlicher Entscheidung beruht, sondern auch eine Folge persönlicher oder charakterlicher Eigenschaften darstellt, die ihrerseits nicht frei gewählt werden können.

Ein weiteres Forschungsanliegen besteht darin, herauszufinden, ob neben Texten auch Werke von Künstlerinnen oder Künstlern als Beiträge zur Debatte um romantische Kunst sowie um den Primat von Linie/Zeichnung oder Farbe, betrachtet werden können.

Diese sollen daraufhin untersucht werden, ob sie als Positionierungen gelten können, die jeweilige Stilwahl im beschriebenen Sinne über rein künstlerische Entscheidungen hinaus zu erweitern und, ob sie als Ausdruck spezifischer Verhältnisse von Individuen zu ihrer Umwelt aufgefasst werden können.