
Das Kunstschaffen der Präraffaeliten wird in der Forschung seit jeher als Bruch mit den geltenden Konventionen der Akademie verstanden. Insbesondere jüngere Publikationen interpretieren die präraffaelitischen Künstler häufig als Vertreter einer viktorianischen Avantgardebewegung sowie als Wegbereiter der Moderne. Bemerkenswert sind jedoch kunsthistorische Zeugnisse des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, aus denen hervorgeht, dass präraffaelitische Bilder trotz ihrer devianten Formensprache häufig wie selbsterklärend als romantisch attribuiert wurden. Bezugnehmend auf diese Zuschreibungen strebe ich mit meinem Promotionsprojekt an, diesen behaupteten Zusammenhang erstmals eingehend zu ergründen. Die Werke der Präraffaeliten sollen anhand ausgewählter Beispiele auf ihre romantischen Merkmale hin befragt werden, um das Phänomen des Präraffaelismus innerhalb der britischen Romantik zu verorten. Für die Untersuchung der Affinitäten und Divergenzen zwischen dem Präraffaelismus und der Romantik werden in der Arbeit verschiedene methodische Ansätze miteinander verknüpft: Unter Zuhilfenahme eines rezeptionsgeschichtlichen Ansatzes soll untersucht werden, was die Präraffaeliten unter romantisch verstanden und inwieweit ihre Werke als romantisch aufgefasst wurden. Im Zentrum der Arbeit stehen dabei sowohl zentrale als auch bisher wenig beachtete Werke aus den drei Phasen des Präraffaelismus (1848 bis ca. 1940), darunter aus den Bereichen der Landschafts-, Historien- und Genremalerei, die hinsichtlich ihrer romantischen Aspekte untersucht werden sollen. Dabei gilt es, den Bildanalysen einen flexiblen Romantikbegriff zugrunde zu legen, der es ermöglicht, Spezifika für einen Vergleich auszuweisen, ohne dabei Anspruch auf Allgemeingültigkeit zu erheben. Dieser Problematik soll methodisch mit einem Romantikmodell als heuristischer Grundlage begegnet werden, durch das Merkmalsbündel im Sinne der Modelltheorie generiert werden können. Die Anwendung eines modelltheoretischen Ansatzes verspricht demnach die Option zur Erarbeitung eines Systems, das es erlaubt, dem Romantischen in der präraffaelitischen Malerei nachzugehen und zu prüfen, welche Charakteristika der Romantik über drei Künstlergenerationen der Präraffaeliten bis ins 20. Jahrhundert transportiert wurden. Darüber hinaus soll das Promotionsprojekt die präraffaelitischen Werke erstmals auch eingehend unter rezeptionsästhetischen Gesichtspunkten beleuchten, da in der kritischen Auseinandersetzung mit den Arbeiten die visuellen Eigenschaften präraffaelitischer Bilder häufig zugunsten literarischer, historischer und biographischer Narrative zurücktreten.