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Literarische Spurensuche zwischen Wetzlar, Frankfurt und Straßburg

Ein Exkursionsbericht von Hannes Polten
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Foto: Andreas Kupfer

Im Rahmen des Seminars „Goethe: Vom ‚Sturm und Drang‘ zur Weimarer Klassik“ unternahmen wir vom 15. bis 18. Mai 2025 eine Exkursion zu Goethes Wirkungsorten. Ziel war es, das im Seminar Erarbeitete vor Ort lebendig werden zu lassen – zwischen Geschichte, Gedichten und ganz persönlichen Eindrücken. Was uns erwartete? Dichterische Schauplätze, spannende Führungen und luftige Höhen mit einer Gruppe Literaturbegeisterter.

Der erste Tag unserer literarischen Exkursion führte uns nach Wetzlar. So versammelten wir uns in den frühen Morgenstunden, um unsere Reise in einem stylischen, wenn auch sehr kompakten Bus zu beginnen. Unser Busfahrer Andreas erwies sich dabei als wahres Highlight der Fahrt und sorgte bereits auf dem Hinweg für beste Stimmung in der Gruppe.

In Wetzlar angekommen, präsentierte sich uns eine Stadt von bemerkenswerter Lage und charmantem Aussehen. Besonders hervorzuheben ist die Stadtführung, die wir dort erleben durften. Unsere Stadtführerin Ulla Wilhelmi-Gräf erwies sich als äußerst motiviert und wahrhaft Goethe-fanatisch, sodass deren Begeisterung für den Dichter regelrecht ansteckend war. Eine der beeindruckendsten Erzählungen des Tages war die Mutmaßung, dass Goethe ohne seinen Aufenthalt in Wetzlar niemals Schriftsteller geworden wäre – eine Tatsache, die die Bedeutung dieser Stadt für die deutsche Literaturgeschichte unterstreicht. Für zusätzliche Erheiterung während der Stadtführung sorgte die Sichtung diverser Katzen, die unseren literarischen Rundgang auf charmante Weise begleiteten. Interessant war auch die Beobachtung, dass unsere Stadtführerin den Werther-Roman in Wetzlar geradezu lebendig machen konnte, indem sie immer wieder auf wahre Begebenheiten zu dessen Entstehung hinwies. Denn die Parallelen zwischen dem Werther-Roman und den wahren Begebenheiten – Charlotte Buff, das Lotte-Haus, der tragische Selbstmord – sind nicht von der Hand zu weisen. Mit akribischer Gründlichkeit besuchten wir viele Orte in Wetzlar, an denen Goethe sich befunden haben muss. Besonders die Goethe-Popart in Wetzlar erwies sich als Blickfang und verlieh der historischen Spurensuche eine moderne Note.

Nach diesem ereignisreichen Tag in Wetzlar ging die Fahrt weiter nach Frankfurt. Im Hostel fühlten wir uns angesichts der Plastikboxen, die infolge eines Wasserschadens im Foyer platziert waren und uns an unsere geliebte ThULB erinnerten, direkt wie zuhause. Bestens gelaunt starteten wir in den Abend, wobei eine spontane Umfrage darüber, ob Apfelwein nun ein empfehlenswertes Getränk sei, wie auch die brennende Frage, wie Deutschland beim Eurovision Song Contest abschneiden würde, für große Erheiterung in der Gruppe sorgte.

Auch den folgenden Tag verbrachten wir in Frankfurt. Während einige Exkursionsteilnehmer:innen noch in apfelweingetränkten Träumen schwelgten, trafen sich andere zu einem „entspannten“ Morgenlauf am Main. Später erreichten wir – ungeachtet diverser S-Bahn-Verwirrungen – unserem ersten Programmpunkt, erneut auf Goethes Spuren. Es stand eine Führung durch Goethes leider nicht original erhaltenes, sondern in den 1950er Jahren rekonstruiertes Geburtshaus an, das sich in der Frankfurter Innenstadt befindet. Begleitet wurden wir von Dr. Doris Schumacher, einer erfahrenen Museumspädagogin, die uns durch die Räumlichkeiten führte, zu denen unter anderem eine umfangreiche Bibliothek und ein Puppentheater gehören. Nur eines fehlte im Wohnhaus: Betten. War Goethe deshalb ein ungemein produktiver Autor, weil er nicht schlief, sondern nur „chillte“?1 Mit dieser Frage verließen wir Goethes-Wohnhaus, um unseren Wissensdurst im nebenliegenden Romantik-Museum zu stillen. Während wir Jenaer Studierenden durch das lokale Romantikerhaus verwöhnt sind, das sich vornehmlich der Frühromantik widmet, überzeugte das Frankfurter Museum durch seine globale Perspektive – und seine „Himmelstreppe“. Auch hier führte uns Frau Schumacher durch die Ausstellungsräume, in denen an 36 Stationen nicht nur zentrale Akteur:innen und Ideen der Romantik, sondern zahlreiche Originalmanuskripte zu entdecken waren. In einem anschließenden Gespräch erhielten wir die Möglichkeit, weiterführende Fragen zur Konzeption des Museums zu stellen, die Frau Schumacher mit Sorgfalt beantwortete. Nach diesem erkenntnisreichen Tagesprogramm ließen wir den Abend am Mainufer in geselliger Runde ausklingen.

Gruppenbild vor der nächtlichen Skyline Frankfurts

Foto: Sophie Bahn

Den dritten Tag begannen wir bestens vorbereitet durch ein informatives Referat zweier Kommiliton:innen über Goethes Dichtung und Wahrheit, das uns bereits vor der Abfahrt nach Straßburg einen ersten literarischen Zugang zur Stadt ermöglichte. In Straßburg angekommen, begrüßte uns nicht nur der deutsch-französische Charme der Stadt, sondern auch das Münster, welches anscheinend nicht selten mit der Kathedrale Notre-Dame verwechselt wird.

Ein besonderes Highlight des Tages stellte die studentische Exkursion über die Dächer der Stadt dar. In schwindelerregender Höhe eröffneten sich uns spektakuläre Ausblicke. Etwas weniger luftgesteuert, dafür umso kurioser verlief unsere Stadtführung durch Straßburg, die zwar thematisch eher durchmischt daherkam, aber dennoch zur Vermehrung unseres Inselwissens beitrug. Wusstet ihr zum Beispiel dieses besonders skurrile Detail? Auf dem Vorplatz des Münsters steht eine Säule, die den Kuchenkonsum einzelner Bürger:innen misst. Oder der Fakt, dass Goethes früherer Wohnort heute ein ganz gewöhnliches Wohnhaus ist, das deutlich weniger literarisches Selbstbewusstsein ausstrahlt als etwa das Lotte-Haus in Wetzlar? Anstatt daraus ein Museum zu machen, hat man sich in Straßburg wohl für eine pragmatische Nutzung entschieden.

Dennoch wollten wir den Tag nicht enden lassen, ohne Goethe auch literarisch gerecht zu werden. So vertieften wir uns bis tief in die Nacht in seine Lyrik und lauschten weiteren Vorträgen. Zumindest diejenigen von uns, deren Herz nicht bereits ungeduldig für das ESC-Finale schlug oder die noch bei Nacht durch Straßburg schlendern wollten.

Viel zu schnell war er da – der Tag der Abreise. Nach einem letzten gemeinsamen Gruppenfoto und einem schnellen Abstecher in die Bäckerei machten wir uns auf den Rückweg nach Jena.

Unser besonderer Dank gilt Herrn von Petersdorff, Kerstin Kopitzsch und Florentine Prehl, die mit großem Engagement und Liebe zum Detail eine rundum gelungene Exkursion voller literarischer Entdeckungen, humorvoller Anekdoten und unvergesslicher Momente ermöglicht haben.


1 Die Anspielung bezieht sich auf das Gemälde „Goethe mit der Silhouette“, gemalt von Georg Melchior Kraus (1737-1806), das ursprünglich im Auftrag der Herzogin Anna Amalia angefertigt, später jedoch als Geschenk für Goethes Eltern von Johann Ehrenfried Schumann (1732-1787) kopiert wurde. Die Kopie hängt im Erdgeschoss des Frankfurter Goethe-Hauses und Frau Dr. Schumacher informierte uns, dass Schulklassen angesichts des Gemälde zuweilen anmerkten, Goethe würde „chillen“.