Kopie einer Seite der mittelalterlichen Handschrift "Die Jüngere Habichtslehre", aufgenommen am 29.09.2011 an der Universität Jena.

Seminar für Indogermanistik

Sprachgeschichte von Indien bis Irland und Island
Kopie einer Seite der mittelalterlichen Handschrift "Die Jüngere Habichtslehre", aufgenommen am 29.09.2011 an der Universität Jena.
Foto: Jan-Peter Kasper (Universität Jena)

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Foto: Indogermanistik Jena

Die Indogermanistik (auch Indogermanische Sprachwissenschaft, Vergleichende Sprachwissenschaft, Historisch-Vergleichende Sprachwissenschaft) beschäftigt sich mit der Geschichte der sogenannten indogermanischen (oder indoeuropäischen) Sprachen, einer der weitestverbreiteten Sprachfamilien der Welt.

Dazu gehören unter anderem auch alte Kultursprachen wie Griechisch, Latein, Sanskrit (Altindisch), Hethitisch oder Altkirchenslavisch sowie die meisten europäischen Sprachen, die iranischen Sprachen und viele Sprachen des indischen Subkontinents. Alle diese Sprachen können auf eine gemeinsame Grundsprache zurückgeführt werden, die wir Urindogermanisch (engl. Proto-Indo-European) nennen.

Wie sich die Sprachen aus dieser gemeinsamen Grundlage entwickelt haben, d.h. wie also ihre Strukturen und Wörter erklärt werden können und was man daraus für die Kulturgeschichte der entsprechenden Sprachgemeinschaften schließen kann, ist der Gegenstand der Indogermanistik.

Fachgeschichte

Jena spielte eine bedeutende Rolle in der Geschichte der Anfang des 19. Jahrhunderts enstandenen und zunächst noch vereinten Disziplinen Indologie und Vergleichende Sprachwissenschaft (Indogermanistik); beide wurden meist auch gemeinsam vertreten.

Schon seit 1821 hatte der Orientalist Kosegarten in Jena auch Sanskrit-Kurse angeboten und sich mit altindischer Literatur beschäftigt. Nach ihm unterrichtete bis 1864 der Theologe Andreas Gottlieb Hoffmann Sanskrit, von 1839 bis 1841 außerdem auch der Orientalist Hermann Brockhaus.

Im Jahre 1857 wurde der Thüringer August Schleicher (Bild links) aus Prag an die Philosophische Fakultät der Universität Jena berufen, wo er als ordentlicher Honorarprofessor „für deutsche Philologie und vergleichende Sprachkunde“ bis zu seinem frühen Tod 1868 lehrte. Er hatte schon in Prag das Konzept von Sprachen als Organismen sowie das Modell der Sprachverwandtschaft als Stammbaum entwickelt ("Stammbaumtheorie"). In seinem Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen von 1862 bot er erstmals einen ernsthaften Versuch der Rekonstruktion der urindogermanischen Grundsprache. In Jena freundete er sich mit dem Zoologen Ernst Haeckel an (beide waren auch begeisterte Turner) und rezipierte Darwins Evolutionstheorie, die er in einem veröffentlichten „Sendschreiben“ an Haeckel mit seinem Modell der Sprachverwandtschaft verknüpfte. Schleichers Schüler August Leskien (habilitiert in Jena 1867) folgte ihm für zwei Jahre als außerordentlicher Professor für vergleichende Sprachkunde und Sanskrit, bevor er nach Leipzig ging, wo er einer der Begründer der „junggrammatischen“ Schule wurde. Ein Schüler von Schleicher war auch Johannes Schmidt, der 1865 in Jena promovierte und dann nach Bonn, Graz und Berlin ging. Er wurde in Abgrenzung von Schleicher und den Junggrammatikern einer der Begründer der sogenannten "Wellentheorie" des Sprachwandels.

Von 1870 bis 1913 lehrte in Jena der bedeutende Syntaktiker Berthold Delbrück (Bild rechts) als Professor für Sanskrit und vergleichende Sprachkunde. Er war mehrfach Prorektor der Universität (Rektor war nominell der Großherzog) und wurde 1908 Ehrenbürger der Stadt Jena. Neben dem Indogermanisten Delbrück, zu dessen Forschungsschwerpunkten das vedische Altindische gehörte, lehrte hier von 1872 bis 1925 als außerordentlicher Professor der Indologe Carl Cappeller, und in Jena lebte von 1868 bis 1885 auch der berühmte Otto von Böhtlingk, der eigentlich an der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg tätig war, sich aber Jena als Wohn- und Arbeitsort ausgesucht hatte. Der letzte Band des bis heute unersetzten „großen St. Petersburger“ Wörterbuchs des Sanskrit entstand also auch in Jena, ebenso die meisten Bände das „Sanskrit-Wörterbuch in kürzerer Fassung“, das Böhtlingk hier 1877 begann.

Im Jahre 1905 hatte Friedrich Slotty in Jena promoviert, und 1914 wurde er Privatdozent für Philologie und vergleichende Sprachwissenschaft, 1919 erhielt er ein Extraordinariat. 1926 ging er nach Prag und wurde dort ein aktives Mitglied des berühmten Cercle Linguistique.

Delbrücks Nachfolger war von 1913-1924 Ferdinand Sommer als Ordinarius für Vergleichende Sprachwissenschaft. Sommer erlebte in Jena die Neuentdeckung des Hethitischen als indogermanische Sprache und beteiligte sich maßgeblich an diesem neuen Forschungsgebiet, wobei er davon profitierte, dass mit Arthur Ungnad in Jena zunächst noch ein kompetenter Altorientalist vor Ort war, bis dieser 1919 nach Greifswald ging und das orientalische Seminar aufgelöst wurde. Sommer wechselte dann 1924 nach Bonn und 1926 nach München. Ihm folgte 1925 Albert Debrunner, besonders bekannt durch seine Mitarbeit an Jacob Wackernagels „Altindischer Grammatik“, aber auch für seine Arbeiten zum hellenistischen Griechisch. Während seiner Jenaer Zeit habilitierte sich Hans Krahe, der noch bei Sommer promoviert hatte, und wurde 1928 Privatdozent für Indogermansiche Sprachwissenschaft und Sanskrit; 1936 ging er nach Würzburg, später nach Heidelberg und Tübingen; bekannt wurde er besonders für die Erforschung der Gewässernamen (alteuropäische Hydronymie). Im Jahre 1935 tauschten Debrunner und sein ihm in Bern nachgefolgter Schüler Walter Porzig aus politischen Gründen die Lehrstühle. Porzig wurde 1940 von Richard von Kienle vertreten und wechselte dann 1941 nach Straßburg, wonach die Jenaer Professur zunächst unbesetzt blieb. Erst 1947 wurde Friedrich Slotty, der 1939 in Prag ein Lehrverbot erhalten hatte, (wieder) nach Jena berufen, wo er 1954 emeritiert wurde. Ihm folgte (bis 1967) Richard Hauschild, der schon in Jena bei Debrunner studiert hatte, als Ordinarius für vergleichende Sprachwissenschaft und Indologie.

Danach wurde im Zuge der „dritten Hochschulreform“ der Lehrstuhl eingezogen, doch wurde die Tradition der Indogermanistik und Indologie faktisch weitergeführt von Bernd Barschel, der seit 1970 in Jena wirkte, 1976 mit einer Arbeit zu den indoeuropäischen i-Stämmen promoviert worden war und ab 1977 eine Lektorenstelle hatte. Bis zu seinem frühen Tod 1990 sorgte er dafür, dass die Jenaer Tradition nicht in Vergessenheit geriet. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurde der Lehrstuhl wieder eingerichtet, und von 1994 bis 2012 war Rosemarie LührExterner Link seine Inhaberin, mit einem Schwerpunkt besonders auf den germanischen Sprachen. Der Standort Jena entwickelte sich besonders durch die erfolgreiche Einwerbung zahlreicher Drittmittelprojekte wieder zu einem bedeutenden Zentrum des Faches.

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