ORCID ID: https://orcid.org/0000-0003-3152-6542
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Dissertationsprojekt: "Pietismusforschung 4.0? Möglichkeiten und Grenzen computergestützter Verfahren für die Religionsgeschichte am Beispiel des reußischen Korrespondenznetzwerks des 18. Jahrhunderts"
Das von Prof. Dr. Gisela Mettele (Jena) betreute Promotionsprojekt verfolgt das Ziel, das Korrespondenznetzwerk des reußischen Pietismus des 18. Jahrhunderts in seiner Komplexität und Verwobenheit mit seinen zahlreichen Strömungen und Akteuren unterschiedlichster sozialer Schichten unter zu Hilfenahme computergestützter Methoden zu rekonstruieren. Die Dissertation beansprucht damit Relevanz für verschiedene Forschungsbereiche der Religionsgeschichte und der Digital-Humanities-Forschung. Sie tangiert einerseits die Forschungen zum Brief als einem zentralen Kommunikations- und Weltdeutungsmittel des Pietismus, die pietistische Netzwerk- und Sprachforschung und die Verhältnisbestimmung unterschiedlicher pietistischer Denominationen. Indem sie dabei die komplementäre Anwendung verschiedener digitaler Methoden erprobt, geht sie der Frage nach einer genuin digitalen Religionsgeschichte nach.
Die Rekonstruktion des reußisch-pietistischen Netzwerks und seiner Kommunikation ist nicht allein aber zu großen Teilen Grundlagenforschung, da sie eine unerschlossene Quellenbasis aufbereitet und inhärente Strukturen sichtbar macht, die die Untersuchungsgrundlage für zahlreiche weitere Forschungsfragen bilden. Zugleich folgt sie einem konkreten religionsgeschichtlichen Erkenntnisinteresse, indem sie die religiöse Zugehörigkeit von Personen und Personenkreisen innerhalb verschiedener Strömungen einer Denomination/Religion am konkreten Beispiel des Pietismus sichtbar macht. Die Frage nach religiöser Verortung von Personen stellt sich insbesondere sowohl in Phasen der scheinbaren Auflösung konfessioneller Grenzen als auch Situationen scheinbarer religiöser Konkurrenz, wie sie nicht allein in den reußischen Territorien des 18. Jahrhunderts zu beobachten sind. Die Dissertation wird so an einem Modellfall demonstrieren, wie nur vermeintlich deutlich abgrenzbare religiöse Strömungen in ihrem Verhätlnis zueinander neu und genauer bestimmt werden können.
Auf methodischer Ebene fragt die Dissertation nach Mehrwerten, Chancen und Grenzen computergestützter Verfahren für die Religionsgeschichte. Dies wird anhand eines umfassenden Forschungsworkflows von der Modellierung und Erhebung der Forschungsdaten für die computergestützte Verarbeitung bis hin zur Visualisierung, Interpretation und Präsentation der Ergebnisse durchgeführt, dokumentiert, reflektiert und evaluiert. Die dafür ausgewählten digitalen Erhebungs- und Analyseverfahren umfassen einerseits die Historische Netzwerkanalyse. Dafür werden die in den Briefen enthaltenen Personenrelationen unter Anwendung eines dafür entwickelten forschungsgeleiteten Editionsmodells erfasst, angereichert und netzwerkanalytisch ausgewertet. Mit Anwendung der historischen Netzwerkanalyse knüpft die Dissertation an eine Forschungsrichtung an, die in den vergangenen Jahren eine enorme Verbreitung gefunden und dabei die zentrale Stellung des Briefes als konstituierendes Element (pietistischer) Netzwerke neu bewertet hat. Computerlinguistische Analysen (NLP) der Briefe konkretisieren die Beziehungen ausgewählter potentieller Mitglieder einer gemeinsamen religiösen Gruppe in ihrer Art und Intensität. So wird bspw. danach gefragt, ob als disparat wahrgenommene Strömungen und Personengruppen auch disparate Pools an bewussten und unbewussten Begriffen, Schlüsselwörtern, Themen und Narrativen, syntaktischen und semantischen Konventionen und Sprachmustern verwenden, über die Gruppenidentität und ein gemeinsamer religiöser Horizont sichtbar, ausgedrückt, verhandelt, gepflegt und erschaffen werden.
Der Digital Turn hat die Geistes- und Kulturwissenschaften vollends erfasst und gestaltet diese unter dem Label Digital Humanities zunehmend mit. Im Seminar werden wir uns damit beschäftigen, was sich hinter diesem Begriff verbirgt und wie sich die Anwendung digitaler Methoden und Techniken auf die Geschichtswissenschaft im Speziellen, bspw. ihre Erkenntnisinteressen, Methoden und Heuristiken sowie Arbeitsweisen und Fähigkeiten der Forschenden auswirkt. Indem zentrale Techniken und Methoden der Digital-History-Forschung kennengelernt werden (bspw. Digitalisierung und Aufbereitung historischer Quellen, automatische Volltexterkennung und -annotation, Digitale Editorik, Quantitative Analysen, Entitätenerkennung, Semantische Technologien, Historische Netzwerkanalyse, Geographische Informationssysteme, Datenvisualisierung etc.) soll der Anspruch der sich zunehmend als eigenständiger Forschungsbereich etablierenden Digital-History-Forschung kritisch hinterfragt und dabei deren Mehrwerte und Stärken aber auch Grenzen herausgearbeitet werden. Da die Digital Humanities ein stark international geprägter Forschungsbereich sind, wird - neben dem Interesse an digitalen Arbeitsweisen - die Bereitschaft zum Lesen englischsprachiger Texte vorausgesetzt. In der begleitenden Übung sollen die im Seminar besprochenen Techniken in der Praxis angewendet und eingeübt werden.
Ergänzend zum Seminar "Einführung in Methoden, Techniken und Werkzeuge der Digitalen Geschichtswissenschaft" werden in der Übung zentrale Fertigkeiten aus dem Bereich der Digital History in der Praxisanwendung selbst ausprobiert und eingeübt, mit denen historische Quellen unter Zuhilfenahme digitaler Werkzeuge rekonstruiert, aufbereitet, verarbeitet, analysiert und publiziert werden können. Dazu gehören unter anderem Techniken der Volltexterkennung mittels OCR/HTR, der Texterfassung und -annotation mittels XML/TEI, der Texttransformation mittels XSLT, der Textpublikation mittels HTML sowie der Textanalyse mittels quantitativer Verfahren und Netzwerktechnologien. Die Voraussetzung zur Teilnahme ist neben dem Interesse am Erlernen digitaler Arbeitsweisen das Mitbringen eines eigenen Laptops sowie die Bereitschaft auch englischsprachige Texte zu lesen.
Literatur: Fotis Jannidis u.a. (Hg.): Digital Humanities : eine Einführung. Stuttgart 2017; Jörg Wettlaufer: Neue Erkenntnisse durch digitalisierte Geschichtswissenschaft(en)? Zur hermeneutischen Reichweite aktueller digitaler Methoden in informationszentrierten Fächern. In: Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften. 2016. DOI: 10.17175/2016_011.; Laura Busse u.a. (Hg.): Clio Guide. Ein Handbuch zu digitalen Ressourcen für die Geschichtswissenschaften. 2. erw. und aktualisierte Aufl., Berlin 2018, URL: https://guides.clio-online.de/guides.
Übung: Erschließung handschriftlicher Quellen der Neuzeit. Vom Archiv bis zur digitalen Edition
Im Mittelpunkt der Übung steht die Transkription handschriftlicher Quellen der Neuzeit. Eingeübt wird das Lesen deutscher Handschriften in Kurrentschrift aus dem 16. bis 20. Jahrhundert anhand ausgewählter Beispiele. Gern können auch Handschriften für die gemeinsame Lektüre ins Seminar mitgebracht werden (z.B. Briefe der Groß- oder Urgroßeltern). Ergänzend bietet die Übung einen Einstieg in die digitale Editionsarbeit.
Kurt Dülfer, Hans-Enno Korn (Bearb.): Schrifttafeln zur deutschen Paläographie des 16.-20. Jahrhunderts, hrsg. von Karsten Uhde, Marburg 2007; Hans Wilhelm Eckardt, Gabriele Stüber, Thomas Trumpp, "Thun kund und zu wissen jedermänniglich". Paläographie, Aktenkunde, archivalische Textsorten, Köln 1999; Paul Arnold Grun, Leseschlüssel zu unserer alten Schrift, Limburg/Lahn 1984; Elisabeth Noichl (Bearb.): Deutsche Schriftkunde der Neuzeit. Ein Übungsbuch mit Beispielen aus bayerischen Archiven, München 2006; Simon Teuscher (Hrsg.): Ad fontes - Eine Einführung in den Umgang mit Quellen im Archiv, URL: http://www.adfontes.uzh.ch/1000.php.